Johanna, du hast einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Es ist ungewöhnlich, dass du den Hof übernimmst, wie ist es dazu gekommen?
Mein Bruder wollte oder sollte bis vor ein paar Jahren den Hof übernehmen, aber dann hat sich das anders entwickelt. Er hilft zwar viel, aber er hat sich gegen die Übernahme des Hofes entschieden. Erstens muss man Tiere wollen, und zweitens muss man sich Gedanken über die Vermarktung machen, weil der Betrieb nur eine Zukunft hat, wenn man da etwas verändert. Alles ist zugebaut, deshalb können wir weder von der Anzahl der Tiere, noch von der Hektarzahl größer werden. Dafür ist mein Bruder nicht der Typ, er ist lieber in der Außenwirtschaft tätig und hat ein großes Geschick für Maschinen. Dank ihm muss ich nur selten Trecker fahren.
Als ich mich dazu entschieden habe, die Technikerschule weiterzumachen und in der Landwirtschaft zu bleiben, war ich noch in Paderborn, mit meinem damaligen Partner. Wir hatten eigentlich den Plan, gemeinsam einen Kuhstall zu bauen. Aber dann habe ich irgendwie doch kalte Füße gekriegt und bin wieder zurück. Ich habe dann einfach die Ausbildung weiter gemacht, weil ich mir sicher war, dass ich was mit Direktvermarktung machen will. Und parallel dazu hat mein Bruder seine Freundin kennengelernt, er arbeitet jetzt im Betrieb seines Schwiegervaters. Also hat sich alles durch Zufälle so entwickelt. Meine jüngere Schwester ist schlauer als wir, wird also ganz sicher nicht in die Landwirtschaft gehen. Aber sie ist hier eine große Hilfe und packt ganz selbstverständlich mit an.
Warst du in der Ausbildung die einzige junge Frau, oder gibt es inzwischen mehr Töchter, die den Hof der Eltern übernehmen?
In der Berufsschule waren wir sechs Mädels. In der Technikerschule war im Jahrgang vor uns keine einzige Frau, bei uns gab es drei und in der Klasse danach dann schon mehr. Ich habe schon das Gefühl, dass immer mehr Frauen Interesse an dem Beruf haben. Die meisten kommen aus einem Betrieb, die mit einem anderen Hintergrund finden oft keinen Anschluss. Sie schließen zwar die Ausbildung ab, gehen dann aber doch in andere Berufe. Als Frau ist es schwierig: Entweder man muss einen Bauer heiraten, oder man braucht einen richtig starken Willen, um sich was aufzubauen. Man hat unglaublich hohe Investitionskosten. Bei den Männern ist es zwar ähnlich, aber ich kenne zum Beispiel einen, der schon ganz früh angefangen hat, sein Geld in landwirtschaftliche Geräte zu stecken. Die Frauen sind eher die Tierleute, da braucht man noch viel mehr Kapital.
Wie war es denn für euch Kinder auf einem Hof aufzuwachsen?
Wir waren von Anfang an immer dabei. Im Melkstand haben meine Eltern eine Schaukel aufgehängt, da kamen wir rein, wenn sie melkten. Und auf dem Schlepper war ein Kindersitz montiert. Mein Bruder hat schon mit fünf zum ersten Mal hinterm Lenkrad gesessen, er hat auch früh geschweißt und so. Mir waren die Maschinen aber zu groß, da hatte ich Respekt vor, ich habe das erst später während meiner Ausbildung gelernt. Auf einem Hof ist täglich etwas zu reparieren, das Handwerkliche ist schon wichtig. Überhaupt, dieses Treckerfahren ist nicht so meins, es gibt ja Leute, die darin total aufgehen. Ich war damals schon lieber bei den Kühen. Auch heute kümmere ich mich lieber um die Tiere. Meine Kindheit möchte ich nicht missen, wir waren immer draußen, das war schon schön, ich kann es mir nicht anders vorstellen!
Mit der Landwirtschaft ist es ja sehr schwer, in den Urlaub zu fahren. Hast du das vermisst, oder seid ihr mal weg gewesen?
Meine Eltern fahren tatsächlich nur mal zur Kur, meine Mutter ist ab und zu für eine Nacht bei Freunden oder Verwandten. Wir als Familie waren einmal für ein, zwei Nächte alle zusammen weg. Aber einer unserer Onkel ist in die Schweiz gezogen, ganz in die Nähe eines Skigebietes. Da haben meine Eltern uns ein Mal im Jahr hingeschickt und wir durften einen Skikurs machen. Das war klasse, vor allem, weil wir jetzt richtig gut Skifahren können! Einmal war ich in Neuseeland, ich habe meinen damaligen Freund für drei Wochen besucht, die Natur dort war wunderschön.
Hast du dich in der Schulzeit anders gefühlt, als die anderen Kinder?
In der Grundschule war das nie ein Thema, da waren wir einfach Kinder. In der Gesamtschule dann schon, da gab es nur mich und ein anderes Mädchen mit landwirtschaftlichem Hintergrund in meinem Jahrgang, mit der ich aber nichts zu tun hatte. Da habe ich schon das Gefühl gehabt, anders zu sein, wie so ein Bauerntrampel. Ich fand es nicht schlimm, dass meine Eltern Landwirte waren und hatte auch noch nie darüber nachgedacht, aber für die anderen Kinder war das ein gefundenes Fressen. Vielleicht war ich auch einfach nur sensibel und unsicher. Angenehm war es nicht, aber ich habe es überlebt.
Und wie ist es heute, hast du viele Freunde, die nichts mit Landwirtschaft zu tun haben?
Nein, eigentlich sind meine Freunde fast alle auch aus der Landwirtschaft. Man baut ja in der Technikerschule und so sein Netzwerk auf. Und mit der Landjugend habe ich auch viel gemacht. Die Landjugend ist schon wichtig für uns, wir haben uns wöchentlich getroffen, was zusammen gemacht. Viele lernen sich da kennen, meine Eltern übrigens auch! Meinen jetzigen Freund habe ich aber auf einer Kirmes kennengelernt. Wenn ich mich bei Fremden als Landwirtin vorstelle, finden die das meistens gut. Ich glaube, weil ich eine Frau bin, bei einem Mann ist es eher so: Ok, ein Bauer.
Ihr habt euren Betrieb vor ein paar Jahren auf biologische Landwirtschaft umgestellt. War dir das sehr wichtig?
Wenn wir keinen Bio-Betrieb hätten, hätte unser Hof die letzten Jahre nicht überlebt! Weil die Preise auf dem konventionellen Milchmarkt so stark schwanken und man davon abhängig ist, hätten wir ständig mit großer Unsicherheit leben müssen. Neben dem wirtschaftlichen Risiko nagt das natürlich ganz schön an der Motivation. Die negative Stimmung, die gerade gegenüber der Landwirtschaft herrscht, nimmt mich auch ganz schön mit. Ich finde es überhaupt nicht gerechtfertigt, dass über die Bauern so schlecht berichtet wird, dass sie für vieles verantwortlich gemacht werden und die Leute ihnen gegenüber so unfair sind. Da bin ich solidarisch mit den konventionellen Erzeugern. Trotzdem bin ich froh, dass die Stimmung gegenüber den Bio-Bauern positiver ist und dass ich das alles nicht so direkt abbekomme.
Wie kam es denn dazu, dass ihr von konventionell auf bio umgestellt habt?
Es fing mit meinem Berufspraktikum in der achten Klasse an, das ich auf dem Bio-Hühnerhof im Nachbarort gemacht habe. Seitdem hatte ich einen starken Bezug zur Biolandwirtschaft und mein Vater hat auch angefangen, sich damit zu beschäftigen. Das mit der Umstellung ist eigentlich von mir ausgegangen, weil ich irgendwie in dieser Bewegung drin war. Ich habe auf zwei Biobetrieben gelernt, deshalb war es für mich ganz selbstverständlich. Natürlich ist es viel mehr Arbeit für meine Eltern und auch eine finanzielle Investition, aber sie stehen voll dahinter.
Für unseren Hof gab es eigentlich keine Alternative zu Bio: Wir können nicht expandieren, wir sind eingekesselt, es gibt nicht mehr Land, das wir bewirtschaften könnten. Als konventioneller Betrieb müssten wir mehr Kühe haben, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Eigentlich wollten wir schon 2012 umstellen, aber da konnte die Bio-Molkerei unsere Milch nicht abnehmen. Umstellen und die Milch zu konventionellen Preisen zu verkaufen, das geht nicht. Die Kosten für die Umstellung sind viel zu hoch. Aber nach zwei Jahren war der Absatz der Bio-Milch gestiegen und die Molkerei hat uns angefragt. Wir haben mit ihnen einen Vertrag abgeschlossen. Die Umstellung selber hat zwei Jahre gedauert.
Im Biobereich ist es als Milchbetrieb leichter, weil die Preise recht stabil sind. Sie liegen zwischen 46 und 50 Cent pro Liter. Damit kann man planen, wir unterliegen nicht so großen Schwankungen wie die konventionellen Produzenten. Wir haben ja auch Zuckerrüben angebaut, das war viel Arbeit, weil auf den Feldern das Beikraut manuell gehackt werden muss, eine wochenlange Hackerei! Aber der Preis war bis zum letzten Jahr sehr gut. Wir haben dieses Jahr keine angebaut, weil wir davon ausgehen, dass die Preise dieses Jahr sinken. Also kein Rübenhacken in diesem Jahr! Man kann da recht flexibel reagieren.
Deine Mutter hat schon immer Milch verkauft, meistens an Stammkunden. Du hast jetzt die Direktvermarktung mit zwei Automaten begonnen und verkaufst zusätzlich zur Milch noch andere Produkte. Wie wird der kleine Hofladen denn angenommen?
Ich finde, es läuft schon ganz gut! Bestimmt hat Corona uns geholfen, viele Leute kaufen gerade regional ein und nehmen unser Angebot gut an. Wir verkaufen verschiedene Milchprodukte sowie Eier, Kartoffeln und Möhren von anderen Bio-Erzeugern. Wurst und Fleisch von unseren Kühen gibt es auch, das wird sehr gut angenommen. Es kommen Stammkunden und auch welche, die bisher zwar das Schild gesehen, aber vorbei gefahren sind. Wenn die dann regelmäßig kommen, freue ich mich natürlich. Ich wünsche mir, dass der Kundenstamm langsam weiter wächst.
Ich habe neulich jemandem erzählt, dass ich von eurem Fleisch leckeres Gulasch und auch Rouladen zubereitet habe. Er war ganz erstaunt, dass es zart war, obwohl es von einer älteren Milchkuh stammte.
Das Fleisch der Kühe ist wirklich gut! Wir haben neulich unseren knapp dreijährigen Bullen geschlachtet. Dessen Fleisch war nicht so schön wie das von unseren fünf- oder sechsjährigen Milchkühen. Sie haben schön marmoriertes Fleisch. Wir haben es selber lange nicht gewusst, sind aber ganz begeistert. Es sind normale Holsteiner Milchkühe.
Wo schlachtet ihr denn die Tiere?
Es ist gar nicht so einfach, einen Schlachter zu finden, der nicht so weit weg ist und seine Arbeit auch noch gut macht. Wir lassen unsere Tiere nach Bad Arolsen zum Schlachten bringen. Die Hälften hole ich dann ab und ich habe das Glück, dass meine Tante und mein Onkel die Weiterverarbeitung übernehmen. Da kann ich dann den ganzen Tag dabei sein, wenn ich will. Sie zerlegen das Rind, machen die Wurst und ich nehme alles eingeschweißt mit.
Dass ein auf Milchkühe spezialisierter Betrieb auch schlachtet ist doch eher ungewöhnlich. Wie kommt ihr dazu?
Damit die Kühe Milch geben, müssen sie Kälber bekommen. Die männlichen Kälber sind in der Milchviehhaltung eigentlich - ich mag es gar nicht sagen, aber es ist so - Abfall. Sie können nicht gut gemästet werden, weil sie von der Zucht her nicht dafür ausgelegt sind. Wir ziehen sie hier zwei, drei Wochen groß, päppeln sie auf, kümmern uns um sie und dann müssen wir sie für zehn Euro abgeben. Und dann weiß man nicht, was mit ihnen passiert. Sie werden irgendwo hingebracht, sogar teilweise ins Ausland, und sterben vielleicht schon auf dem Transportweg. Das ist grausam und ich will davon weg!
Deshalb haben wir jetzt vor, anders zu wirtschaften. Zurzeit haben wir um die siebzig Kühe, ich würde die Herde aber gerne reduzieren und einen Fleischbullen dazustellen. Die Kühe, bei denen sich herausstellt, dass sie für die Milchgewinnung nicht so gut geeignet sind, sollen von dem gedeckt werden, also eine Rasse, die gutes Fleisch weitervererbt. So dass wir die Rinder behalten und mästen können. Die anderen werden mit Bullen einer Milchrasse besamt, der die besten Eigenschaften für die Milchkühe weitervererbt. Wir wollen sowohl Milch als auch Fleisch produzieren und so weniger männliche Kälber weggeben müssen. Der Kreislauf soll also etwas geschlossener sein.