Lothar Faßhauer

Ich bin der letzte, der hier im Ort noch die Tradition aufrecht erhält.

Wie kommt es, dass Sie noch Rinder halten?

Früher hat jede Familie hier auf dem Dorf etwas Land bewirtschaftet und ein paar Tiere gehalten, damit genug Lebensmittel da waren. Es ging gar nicht ohne. Die Leute hatten alle eine Ziege, weil die Ziegenmilch fetthaltiger ist als die der Kuh und sie damit ihre Schweine mästen konnten. Von den paar Küchenresten wurden die Schweine nicht dick genug. Wer nur eine Kuh hatte, musste sich mit jemand anderem zusammentun, um den Pflug ziehen zu können. Es war alles sehr mühsam, die Arbeit musste mit der Hand erledigt werden.

Auch wir hatten schon immer etwas Landwirtschaft nebenher, ich mache das einfach so weiter. Ich arbeite bei der Bahn. Die Landwirtschaft mache ich noch, weil es mir einfach Spaß macht. Und auch wegen der Tradition. Meine Frau war damit einverstanden, das war die Voraussetzung dafür. Die anderen im Ort haben schon lange aufgehört und fragen immer, wann ich endlich genug habe. Aber ich mache das noch, solange die Knochen mitmachen. Es hält mich auch fit, ich sitze ja nicht auf dem Trecker, sondern mache alles noch selber. Säen tue ich mit der Hand, wie vor tausend Jahren.

Ich bin ganz erstaunt, dass ich Sie hier beim Flechten eines Weidenkorbes antreffe!

Das Flechten habe ich bei meinem Großvater abgeschaut. Als ich ein Kind war, hat mich das nicht wirklich interessiert, da war ich lieber draußen. Aber irgendwann kam mal eine Frau und fragte, ob ich ihren Korb reparieren könne, da habe ich mich daran erinnert. Und jetzt mache ich regelmäßig Weidenkörbe für die Leute hier im Dorf.

Bis vor kurzem hatte ich zwei Kühe, aber beide sind kurz hintereinander gestorben. Die eine hat noch Zwillinge bekommen, die beiden hier. Das eine ist der Kleine Klaus, er ist kleinwüchsig und trinkt nur, wenn er dabei meinen Mittelfinger im Maul hat.

Drin im Stall habe ich noch drei Zirkusschweine!

Ich persönlich kenne niemand mehr, der sich ein Hausschwein hält. Es muss ja irgendwann auch geschlachtet werden, gibt es dafür überhaupt noch Strukturen?

Normalerweise hatte ich nur zwei Schweine, eben für die Familie. Jetzt hatte ich mal drei, aber bekomme das dritte nicht los. Niemand will es kaufen! So ein Schwein, das über ein Jahr alt ist, wiegt viel mehr als ein Zuchtschwein, aber die Qualität des Fleisches ist auch viel besser. Trotzdem nimmt es mir keiner ab, ich müsste beim Schlachter sogar noch Geld draufzahlen. Es gibt ja auch gar keine Schlachthöfe mehr in der Umgebung. Nicht einmal Metzger schlachten noch selber. Eine Hausschlachtung kommt zur Zeit wegen der Corona-Vorgaben auch nicht in Frage, da kommen ja Menschen aus mehr Hauhalten zusammen, als erlaubt ist. Es wird viel Werbung für kurze Wege gemacht, die Tiere sollen nicht weit transportiert werden vom Stall bis zum Schlachter. Aber das ist gar nicht möglich. 

Die Leute geben die Schweine lieber zum Schlachthof, statt die Arbeit selber zu machen. Das ist auch Knochenarbeit, für ein Schwein brauchen vier Männer zwei Stunden. Wir haben die Woche geschlachtet, das Töten und Säubern aber nicht hier gemacht, sondern vom Schlachter erledigen lassen. Dann haben wir zwei Tage gebraucht, um alles zu verarbeiten, es zu zerlegen, die Wurst zu machen. Natürlich, man trinkt zwischendurch auch mal einen Schnaps, ein Bier, setzt sich zu Kaffee und Kuchen zusammen mit der Familie, das sind zwei besondere Tage.

Wenn früher im Dorf jemand geschlachtet hat, gingen die anderen hin und stellten eine Schüssel vor die Tür. Darin wurde dann etwas abgegeben. Weil jeder schlachtete, bekam auch jeder mal was. Da war die Gemeinschaft hier noch ganz anders. Jetzt stehen viele Häuser leer, es kommen manchmal Leute, die sich in die Gegend und in ein Haus verlieben, es kaufen und herziehen. Manche sind nur an ein paar Tagen hier, leben aber eigentlich in der Stadt.

Ich schlachte jedes Jahr ein Rind. Es ist schwer oder so gut wie unmöglich, jemand zu finden, der ein Achtel vom Rind abnimmt. Der bereit ist, alles vom Tier zu verarbeiten. Wer hat denn heute noch eine Tiefkühltruhe oder macht Rouladen oder Rinderbrühe, so altbackene Rezepte? Die Leute kochen so etwas nicht mehr, gehen eher essen.

Wenn ich in ein paar Jahren aufhöre mit der Viehhaltung, geht mein Land an den Nachbarn. Meine Tochter lebt nicht mehr hier im Dorf, ich habe also niemanden, der das fortführt. Der Nachbar kann dann noch ein paar mehr Kühe halten. Hier gibt es jetzt mehr Kühe als früher, er hat einen großen Stall gebaut. Land gibt es hier schon noch, es ändert sich eben von Generation zu Generation. Mal ist mehr da, mal weniger, mal ist es günstig, mal teuer.