Seit wann gibt es auf eurem Hof Schafe?
Hier auf dem Hof waren schon immer Schafe. Mein Opa ist 1926 hergekommen. Er hat den Hof zunächst gepachtet und im Jahr 1942 gekauft. Das ist ein typischer kleiner nordhessischer Gutshof, mit mehr Zimmern, als man für eine Familie bräuchte. Es gibt ein gemütliches Herrenzimmer, in dem wird eigentlich nur Weihnachten gefeiert. Es ist nicht leicht, das Haus zu heizen. Meine Eltern, meine Frau und ich wohnen hier.
Mein Opa musste nicht selber täglich draußen auf dem Feld arbeiten, war aber neben der Administration des Hofes noch deutschlandweit als landwirtschaftlicher Sachverständiger tätig. Noch in den 1970ern waren auf so einem Hof drei Schlepperfahrer, ein Schweinemeister und ein Schäfer. Bis 1968 war außerdem ein Schweizer"Schweizer" ist eine frühere Berufsbezeichnung, unter anderem für Melker oder in heutigem Sprachgebrauch Kuhherdenmanager. Für die Herkunft des Begriffs siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Schweizer_(Beruf) und Deutsches Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm (Hrsg.), Band 15: Schiefeln–Seele – (IX). S. Hirzel, Leipzig 1899, https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=GS21762#0 (beide abgerufen am 11.04.2021). da, dann sind die Kühe weggegangen. Bis zur Anschaffung der Melkmaschine haben sogar noch zwei Lehrlinge geholfen. Es gab achtunddreißig Kühe, mit der Hand melkt die keiner alleine. Dann gab es noch die, die hinter dem Pferd herliefen. Bis in die 1960er hatten wir noch Pferde hier für die Feldarbeit. Irgendetwas gab es immer zu tun, das hatte ja auch eine soziale Komponente. Es wurden Leute mit durchgeschleppt, dafür sah es auf so einem Hof auch nicht so aus wie heute, dann war auch mal gekehrt. Wenn man alleine ist, bleibt vieles unerledigt.
Wie viele Schafe hast du denn?
Eine Zeit lang hatte ich zweihundertvierzig Schafe, das war das Maximum. Dann hatte ich lange so um die zweihundert, aber hier in den Ställen ist das viel zu viel Arbeit. So schön es hier ausschaut, es ist zu eng und eine Knochenarbeit, alles muss mit der Hand erledigt werden. Ja, und seit dem Wolfsriss hat sich alles verändert. Ich habe sehr mit mir gekämpft vorigen Winter. Das ist mir unglaublich an die Nieren gegangen, ich war viele Stunden alleine im Stall. Am ersten Mai habe ich dann schweren Herzens die Hälfte der Schafe verkauft. Ich hatte ja nur noch 150, das fand ich eigentlich so ganz knuffig. Jetzt habe ich nur noch fünfundsiebzig. Ich sehe keine Perspektive für die Weidetierhaltung in Deutschland.
Eine Wölfin hat deine Herde im Oktober 2019 angegriffen, wie hast du den Tag in Erinnerung?
Ich habe noch im Bett gelegen, da rief der erste an: Hier läuft ein Schaf durch’s Dorf! Die Schafherde war vielleicht achthundert Meter von hier auf der Weide, da habe ich mir noch gar nichts bei gedacht. Also habe ich dieses eine Schaf verfolgt, das sehr panisch durchs Dorf gelaufen ist. Wir haben das erst einmal eingefangen. Vom Wolf wusste ich da noch gar nichts.
Im Nachhinein stelle ich es mir so vor, dass das Schaf in der Panik und Hektik durch den Zaun ist, es hat in dem Gemetzel mit dem Wolf bestimmt seine Herde verloren und kam natürlich nicht zurück. Die haben ein gutes Gedächtnis und da hat es den Weg auf eine andere Weide gesucht. Das Schaf habe ich erstmal im Stall gelassen, in dem Zustand konnte es nicht raus, es hat auch ein bisschen geblutet. Dann war eigentlich Frühstückszeit, aber mir war komisch, ich wollte erstmal auf der Weide gucken. Und dann lagen sie da, drei tot und einer lebte noch, der Zuchtbock. Ein riesiges Loch war ihm in die Keule gefressen.
Meine Frau sagt, dass sie jetzt versteht, weshalb die Märchen damals so grausam waren. Genau so sah es aus, wie es dort beschrieben wurde. Es ist verständlich, dass früher, als Wölfe noch weit verbreitet waren, solche Texte normal waren. Heute mutet man sie den Kindern ja gar nicht mehr zu, aber wenn man die Schafe nach dem Wolfsangriff gesehen hat, weiß man, dass es tatsächlich so grausam war.
Seitdem ist die Herde irgendwie anders, die vier toten Schafe waren wahrscheinlich das kleinste Problem. Die Schafe sind unruhig, nervös. Zum Zeitpunkt des Risses war die Herde ziemlich hochtragend, es war voriges Jahr schon ein richtiges Chaos, so ein verschlepptes ablammen. Und auch dieses Jahr haben noch nicht alle gelammt, obwohl es schon längst hätte sein müssen. Das ist definitiv nicht spurlos an den Schafen vorbei gegangen. Eigentlich müsste ich die Lämmer von den Müttern abgewöhnen, jeden Tag ein paar Stunden länger. Die Schafe wären schon froh, die Kleinen loszuwerden. Und es wäre auch wirtschaftlich das richtige, die Schafe jetzt abzusetzen. Wenn ich keine Angst hätte, würde ich die, die als erstes gelammt haben, jetzt schon auf die Weide bringen. Aber so müssen sie weiterhin bei trockenem Heu im Stall bleiben.
Woher wusstest du, dass es sich um einen Wolf gehandelt hat?
Dass ein Wolf hier in der Gegend war, hat wohl im Frühjahr 2019 angefangen. Ich musste darum kämpfen, dass das aufgeklärt wird. Es war ein Theater: Natürlich ist keiner verantwortlich! Ich habe beim Kreis angerufen, die sagten, das sei nicht ihre Baustelle. Aber immerhin wussten sie, wo ich mich hinwenden konnte, vorbereitet waren sie also. Ein Bekannter meinte, ich solle gleich die Zeitung anrufen. Mir ist dann mein Cousin eingefallen, der ist bei den Osthessennews. Die kamen her mit einem Kameramann. Samstag Morgen haben sie einen Bericht online gestellt, am Abend hatten sie schon zwölftausend Klicks. Das war für so eine kleine Plattform schon eine Menge. Aber die Hessenschau hat nicht drauf reagiert, gar nichts wurde gezeigt! Ich bin überzeugt, dass sie über die Wolfsrisse nicht berichten sollen.
Es war dann auch tatsächlich Wolf, es wurde eine DNA-AnalyseDie Pressemitteilung können Sie hier einsehen: https://www.hlnug.de/presse/pressemitteilung/tote-schafe-im-kreis-hersfeld-rotenburg-wurden-von-einem-wolf-gerissen (abgerufen am 11.03.2021). gemacht. Die offizielle Stelle für das genetische Wolfsmonitoring ist die Senckenberg Gesellschaft. Da habe ich das Gefühl, die sind alle eher pro-Wolf. Die Stelle von der hessischen Regierung sowieso. Aber die vom Regierungspräsidium haben mir das Gefühl gegeben, den Sachverhalt gar nicht ernst zu nehmen. Natürlich findet man Stunden nach dem Riss an einem Regentag, wie es der 4. Oktober gewesen ist, leichter Spuren der Nachnutzer: Fuchs und Krähe, die waren da. Die findet man ja ganz schnell, wenn irgendwo ein totes Tier rumliegt. Die DNA-Analyse hat es dann ja auch gezeigt.
Was mich halt so stört, ist die Unehrlichkeit, das Verharmlosen und die bewusste Verdummung der Bevölkerung.
Nachdem bewiesen war, dass es sich um einen Wolfsriss gehandelt hat, hast du da eine Entschädigung erhalten?
Nein, die habe ich gar nicht erst beantragt! Es gibt ja keine Hilfe, weil ich keine wolfssicheren Zäune habe. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: In einem Bundesland, in dem es offiziell keine Wölfe gibt,Die Wölfin HW01, GW1409f ist eine von zwei Wölfinnen, die erst seit dem Frühjahr 2020 als in Hessen ansässig gelten, „das heißt, sie wurde[n] über einen Zeitraum von sechs Monaten durch genetische Untersuchungen wiederholt in einer Region nachgewiesen…“ https://www.hlnug.de/themen/naturschutz/tiere-und-pflanzen/arten-melden/wolf (abgerufen am 28.03.2021) muss ich auf Vorrat wolfssichere Zäune haben? Das finde ich schon seltsam.
Es gibt eine Empfehlung, wie ein sicherer Zaun aussieht, aber jeder weiß, dass das Quatsch ist: Ein neunzig Zentimeter hoher Stromzaun. In dieser hügeligen Landschaft hier, bei den Hängen, selbst, wenn ich ihn einen Meter zwanzig hoch baue, macht der Wolf einen großen Schritt und ist drüber.
Hessen wird als „Wolfserwartungsland“ bezeichnet. Eine Mehrheit der Bevölkerung scheint das zu begrüßen. Hast du dafür Verständnis?
Der Wolf, das ist ein Heiligtum!
Der NABUInformationen zum Wolfsprogramm des NABU (Naturschutzbund Deutschland e.V.) finden Sie hier: https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/ (abgerufen am 11.04.2021). nutzt den Wolf aus, um Mitglieder zu werben. Das ist eine Gelddruckmaschine, die wissen, wie man Werbung macht. Wer in der Stadt wohnt, ein schnelles Auto fährt, sonst was konsumiert, ein ökologisch schlechtes Gewissen hat, der will doch auch was Gutes für die Natur tun! Also spenden sie denen halt mal ein paar hundert Euro, werden Mitglied. Bei den Leuten kommt an: „Es ist alles doch gar nicht so schlimm, wir sind doch auf einem guten Weg in Deutschland, wenn sogar der Wolf wieder kommt!“ Der NABU hat nichts mit Naturschutz zu tun, da gibt es viele kleine Initiativen, die wirklich was erreichen, die sollte man unterstützen.