Christof Schäfer

Seit dem Wolfsriss ist die Herde nicht mehr die gleiche.

Seit wann gibt es auf eurem Hof Schafe?

Hier auf dem Hof waren schon immer Schafe. Mein Opa ist 1926 hergekommen. Er hat den Hof zunächst gepachtet und im Jahr 1942 gekauft. Das ist ein typischer kleiner nordhessischer Gutshof, mit mehr Zimmern, als man für eine Familie bräuchte. Es gibt ein gemütliches Herrenzimmer, in dem wird eigentlich nur Weihnachten gefeiert. Es ist nicht leicht, das Haus zu heizen. Meine Eltern, meine Frau und ich wohnen hier. 

Mein Opa musste nicht selber täglich draußen auf dem Feld arbeiten, war aber neben der Administration des Hofes noch deutschlandweit als landwirtschaftlicher Sachverständiger tätig. Noch in den 1970ern waren auf so einem Hof drei Schlepperfahrer, ein Schweinemeister und ein Schäfer. Bis 1968 war außerdem ein Schweizer"Schweizer" ist eine frühere Berufsbezeichnung, unter anderem für Melker oder in heutigem Sprachgebrauch Kuhherdenmanager. Für die Herkunft des Begriffs siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Schweizer_(Beruf) und Deutsches Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm (Hrsg.), Band 15: Schiefeln–Seele – (IX). S. Hirzel, Leipzig 1899, https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB&lemid=GS21762#0 (beide abgerufen am 11.04.2021). da, dann sind die Kühe weggegangen. Bis zur Anschaffung der Melkmaschine haben sogar noch zwei Lehrlinge geholfen. Es gab achtunddreißig Kühe, mit der Hand melkt die keiner alleine. Dann gab es noch die, die hinter dem Pferd herliefen. Bis in die 1960er hatten wir noch Pferde hier für die Feldarbeit. Irgendetwas gab es immer zu tun, das hatte ja auch eine soziale Komponente. Es wurden Leute mit durchgeschleppt, dafür sah es auf so einem Hof auch nicht so aus wie heute, dann war auch mal gekehrt. Wenn man alleine ist, bleibt vieles unerledigt.

Wie viele Schafe hast du denn?

Eine Zeit lang hatte ich zweihundertvierzig Schafe, das war das Maximum. Dann hatte ich lange so um die zweihundert, aber hier in den Ställen ist das viel zu viel Arbeit. So schön es hier ausschaut, es ist zu eng und eine Knochenarbeit, alles muss mit der Hand erledigt werden. Ja, und seit dem Wolfsriss hat sich alles verändert. Ich habe sehr mit mir gekämpft vorigen Winter. Das ist mir unglaublich an die Nieren gegangen, ich war viele Stunden alleine im Stall. Am ersten Mai habe ich dann schweren Herzens die Hälfte der Schafe verkauft. Ich hatte ja nur noch 150, das fand ich eigentlich so ganz knuffig. Jetzt habe ich nur noch fünfundsiebzig. Ich sehe keine Perspektive für die Weidetierhaltung in Deutschland.

Eine Wölfin hat deine Herde im Oktober 2019 angegriffen, wie hast du den Tag in Erinnerung?

Ich habe noch im Bett gelegen, da rief der erste an: Hier läuft ein Schaf durch’s Dorf! Die Schafherde war vielleicht achthundert Meter von hier auf der Weide, da habe ich mir noch gar nichts bei gedacht. Also habe ich dieses eine Schaf verfolgt, das sehr panisch durchs Dorf gelaufen ist. Wir haben das erst einmal eingefangen. Vom Wolf wusste ich da noch gar nichts.

Im Nachhinein stelle ich es mir so vor, dass das Schaf in der Panik und Hektik durch den Zaun ist, es hat in dem Gemetzel mit dem Wolf bestimmt seine Herde verloren und kam natürlich nicht zurück. Die haben ein gutes Gedächtnis und da hat es den Weg auf eine andere Weide gesucht. Das Schaf habe ich erstmal im Stall gelassen, in dem Zustand konnte es nicht raus, es hat auch ein bisschen geblutet. Dann war eigentlich Frühstückszeit, aber mir war komisch, ich wollte erstmal auf der Weide gucken. Und dann lagen sie da, drei tot und einer lebte noch, der Zuchtbock. Ein riesiges Loch war ihm in die Keule gefressen.

Meine Frau sagt, dass sie jetzt versteht, weshalb die Märchen damals so grausam waren. Genau so sah es aus, wie es dort beschrieben wurde. Es ist verständlich, dass früher, als Wölfe noch weit verbreitet waren, solche Texte normal waren. Heute mutet man sie den Kindern ja gar nicht mehr zu, aber wenn man die Schafe nach dem Wolfsangriff gesehen hat, weiß man, dass es tatsächlich so grausam war.

Seitdem ist die Herde irgendwie anders, die vier toten Schafe waren wahrscheinlich das kleinste Problem. Die Schafe sind unruhig, nervös. Zum Zeitpunkt des Risses war die Herde ziemlich hochtragend, es war voriges Jahr schon ein richtiges Chaos, so ein verschlepptes ablammen. Und auch dieses Jahr haben noch nicht alle gelammt, obwohl es schon längst hätte sein müssen. Das ist definitiv nicht spurlos an den Schafen vorbei gegangen. Eigentlich müsste ich die Lämmer von den Müttern abgewöhnen, jeden Tag ein paar Stunden länger. Die Schafe wären schon froh, die Kleinen loszuwerden. Und es wäre auch wirtschaftlich das richtige, die Schafe jetzt abzusetzen. Wenn ich keine Angst hätte, würde ich die, die als erstes gelammt haben, jetzt schon auf die Weide bringen. Aber so müssen sie weiterhin bei trockenem Heu im Stall bleiben.

Woher wusstest du, dass es sich um einen Wolf gehandelt hat?

Dass ein Wolf hier in der Gegend war, hat wohl im Frühjahr 2019 angefangen. Ich musste darum kämpfen, dass das aufgeklärt wird. Es war ein Theater: Natürlich ist keiner verantwortlich! Ich habe beim Kreis angerufen, die sagten, das sei nicht ihre Baustelle. Aber immerhin wussten sie, wo ich mich hinwenden konnte, vorbereitet waren sie also. Ein Bekannter meinte, ich solle gleich die Zeitung anrufen. Mir ist dann mein Cousin eingefallen, der ist bei den Osthessennews. Die kamen her mit einem Kameramann. Samstag Morgen haben sie einen Bericht online gestellt, am Abend hatten sie schon zwölftausend Klicks. Das war für so eine kleine Plattform schon eine Menge. Aber die Hessenschau hat nicht drauf reagiert, gar nichts wurde gezeigt! Ich bin überzeugt, dass sie über die Wolfsrisse nicht berichten sollen.

Es war dann auch tatsächlich Wolf, es wurde eine DNA-AnalyseDie Pressemitteilung können Sie hier einsehen: https://www.hlnug.de/presse/pressemitteilung/tote-schafe-im-kreis-hersfeld-rotenburg-wurden-von-einem-wolf-gerissen (abgerufen am 11.03.2021). gemacht. Die offizielle Stelle für das genetische Wolfsmonitoring ist die Senckenberg Gesellschaft. Da habe ich das Gefühl, die sind alle eher pro-Wolf. Die Stelle von der hessischen Regierung sowieso. Aber die vom Regierungspräsidium haben mir das Gefühl gegeben, den Sachverhalt gar nicht ernst zu nehmen. Natürlich findet man Stunden nach dem Riss an einem Regentag, wie es der 4. Oktober gewesen ist, leichter Spuren der Nachnutzer: Fuchs und Krähe, die waren da. Die findet man ja ganz schnell, wenn irgendwo ein totes Tier rumliegt. Die DNA-Analyse hat es dann ja auch gezeigt.

Was mich halt so stört, ist die Unehrlichkeit, das Verharmlosen und die bewusste Verdummung der Bevölkerung.

Nachdem bewiesen war, dass es sich um einen Wolfsriss gehandelt hat, hast du da eine Entschädigung erhalten?

Nein, die habe ich gar nicht erst beantragt! Es gibt ja keine Hilfe, weil ich keine wolfssicheren Zäune habe. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: In einem Bundesland, in dem es offiziell keine Wölfe gibt,Die Wölfin HW01, GW1409f ist eine von zwei Wölfinnen, die erst seit dem Frühjahr 2020 als in Hessen ansässig gelten, „das heißt, sie wurde[n] über einen Zeitraum von sechs Monaten durch genetische Untersuchungen wiederholt in einer Region nachgewiesen…“ https://www.hlnug.de/themen/naturschutz/tiere-und-pflanzen/arten-melden/wolf (abgerufen am 28.03.2021) muss ich auf Vorrat wolfssichere Zäune haben? Das finde ich schon seltsam.

Es gibt eine Empfehlung, wie ein sicherer Zaun aussieht, aber jeder weiß, dass das Quatsch ist: Ein neunzig Zentimeter hoher Stromzaun. In dieser hügeligen Landschaft hier, bei den Hängen, selbst, wenn ich ihn einen Meter zwanzig hoch baue, macht der Wolf einen großen Schritt und ist drüber.

Hessen wird als „Wolfserwartungsland“ bezeichnet. Eine Mehrheit der Bevölkerung scheint das zu begrüßen. Hast du dafür Verständnis?

Der Wolf, das ist ein Heiligtum!

Der NABUInformationen zum Wolfsprogramm des NABU (Naturschutzbund Deutschland e.V.) finden Sie hier: https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/saeugetiere/wolf/ (abgerufen am 11.04.2021). nutzt den Wolf aus, um Mitglieder zu werben. Das ist eine Gelddruckmaschine, die wissen, wie man Werbung macht. Wer in der Stadt wohnt, ein schnelles Auto fährt, sonst was konsumiert, ein ökologisch schlechtes Gewissen hat, der will doch auch was Gutes für die Natur tun! Also spenden sie denen halt mal ein paar hundert Euro, werden Mitglied. Bei den Leuten kommt an: „Es ist alles doch gar nicht so schlimm, wir sind doch auf einem guten Weg in Deutschland, wenn sogar der Wolf wieder kommt!“ Der NABU hat nichts mit Naturschutz zu tun, da gibt es viele kleine Initiativen, die wirklich was erreichen, die sollte man unterstützen.

 

Für dich und deine Schafe hatte der Wolfsriss große Auswirkungen. Wieso hast du die Entscheidung getroffen, deine Herde so drastisch zu verkleinern?

Ich habe dir vorhin die Gipsabdrücke der Wofsspuren gezeigt, das war ja kein Zufallsfund! Diese Abdrücke habe ich auf der selben Fläche gemacht, ein Jahr später. Wenn du hier bei passendem Wetter durch die Landschaft läufst, findest du jeden Tag welche. Vor drei Tagen habe ich Bodenproben gezogen, an der selben Stelle, und wieder habe ich Spuren gesehen. Das ist doch kein Zufall!

Jetzt gehen die Schafe über die Straße, durch den Garten direkt aufs Ackerland, fünfzig Meter. Das gönne ich mir jetzt noch ein, zwei Jahre. Wenn ich auf dem Ackerland voriges Jahr Weizen angebaut hätte, wäre ich jetzt viertausend Euro reicher. Das bringen die Schafe nicht ein. Ich darf das Spiel nur fünf Jahre spielen, länger darf man Ackerland nicht grün lassen, sonst wird es automatisch Grünland. Und eine größere Flächenentwertung gibt es gar nicht. Einmal Grünland immer Grünland. Man darf es nie wieder umbrechen. 

Es ist völlig bescheuert: Ich nutze mein Grünland nur noch dort, wo es geht, zum Heu machen, aber nicht mehr zum Weiden, sondern opfere den Acker. Der Zaun alleine ist nicht das Problem, aber ich müsste ja jeden Morgen mit der Herde da hin und abends wieder zurück! Ich lasse sie doch nicht mehr ruhigen Gewissens über Nacht da draußen! Da kann ich nicht mehr schlafen.

Kannst du mir das mit dem Grünland nochmal erklären?

Das Grünland ist das, was man nicht wirtschaftlich für den Anbau von Getreide oder Gemüse oder so nutzen kann. In anderen Gegenden kann man Kühe oder Rinder darauf stellen, in Norddeutschland zum Beispiel. Hier ist es die Vorstufe zum Wald. Besonders diese Grünlandflächen, auf denen Schafe weiden, das sind oft Naturschutzflächen, die ohne Pflege verbuschen. Die Artenvielfalt wäre größer, wenn die Schafe drauf wären. So Grünland ist ja schon voller verschiedener Pflanzen, da wimmelt es von Insekten. Gerade diese mageren Grünlandstandorte haben eine hohe Artenvielfalt. Insekten sterben auch von zu wenig Kot und Mist in der Landschaft, das sieht man, wenn man mal einen Kuhfladen anhebt und das Gewimmel darunter sieht.

Ich habe einen Hektar eigenes Naturschutzgebiet. Eigentlich wäre es sinnig, dort weiterhin die Schafe weiden zu lassen. Aber ich packe es doch nicht, die Tiere jeden Tag zwei Kilometer spazieren zu treiben. 

Ihr wollt Naturschutz? Jetzt wächst hier wieder Wald, Scheiß auf die Silberdisteln, ich brauche keine Orchideen auf meiner Wiese. Tut mir ein bisschen leid, aber so ist es. Es kapiert halt keiner, dass das dann irgendwann weg ist. Wenn ihr Wölfe wollt, machen wir Wolfslandschaften. Es gibt ein Sprichwort: „Wo der Wolf kommt, kommt der Wald.“

Das Landschaftsbild in Nordhessen wird sich wandeln. Es trifft ja nicht nur mich alleine. Das sieht man schon an all den Leuten, die früher noch drei Rinder hatten oder so, und heute gar nichts mehr machen. Jemand, der dreihundert Rinder hat, der fängt doch nicht an, eine kleine, schwer zugängliche aber artenreiche Wiese zu mähen. Das wächst dann zu.

Jetzt ist unsere Wölfin wohl gesichtet worden mit einem Rüden. Es ist alles nur eine Frage der Zeit, ob ich nun ein Jahr früher oder später ganz mit den Schafen aufhöre. Vielleicht behalte ich noch fünf, sechs, die ich dann im Garten hab.

Glaubst du an eine Lösung, mit der alle leben können?

Ich bin Realist: in meiner beruflichen Ära wird es keine Lösung geben. 

Man sollte sie lebend fangen, das geht ja. Und dann bringt sie doch bitte dorthin, wo die Leute sie haben wollen, lasst sie doch einfach mal morgens um sechs in Berlin frei, oder in Wiesbaden. Ob die Leute sie dann immer noch so toll finden, weiß ich nicht.

Bist du darüber verärgert, dass Leute Einfluss haben und Entscheidungen treffen, die mit der Realität der Landwirte nichts zu tun haben?

Unabhängig vom Wolf, das sage ich schon lange: Wenn wir unsere Politiker nicht bald besser bezahlen, dann bekommen wir nie Top-Leute. Natürlich verdienen sie überdurchschnittlich, aber mit einem Managergehalt in der Wirtschaft ist es nicht vergleichbar. Wie kann es sein, dass Leute gewählt werden dürfen, die noch nie bewiesen haben, dass sie was können. Ich komme mir veralbert vor, wenn auf der Wahlliste der Grünen eine Abiturientin steht. Jetzt mal ganz ehrlich, zwölf Jahre in die Schule gehen soll reichen? Ich kann doch nicht jemand zur Landwirtschaftsministerin machen, die ein Kalb nicht vom Schaf unterscheiden kann. Das sind die, die ständig im Fernsehen sind, keine Ahnung haben aber meinen, was erzählen zu müssen.

Ein Beispiel: Wenn du heute morgen nicht gekommen wärest, hätte ich Dünger streuen können. Aber ich hätte es nicht tun dürfen, weil es gefroren war! Jahrzehntelang haben alle den Dünger morgens im Frost gefahren. Wenn die Sonne kommt, ist es aufgetaut, matschig, du sackst tiefer ein, verdichtest den Boden, hast Dreck an den Rädern, hinterlässt ihn auf der Straße. Jetzt gilt die Definition: Frost ist Frost. Unsere Fachkräfte in den Ministerien können nicht unterscheiden, ob es Dauerfrost ist oder ob es morgens friert und über Tag auftaut. Diese Einschätzung kann man dem Landwirt nicht überlassen. Ob das ein Umweltschaden ist oder nicht, ist völlig egal. Ob nach dem Morgenfrost drei Tage Sonnenschein angesagt sind, spielt keine Rolle. Es weiß doch jeder, Dünger kostet Geld. Ich schmeiß den doch nicht auf die Erde, wenn ich weiß, dass er nicht optimal wirkt.

Du hast ja gesagt, die Schafe seien dein Hobby. Verdient man damit kein Geld? 

Nur mit dem Verkauf der Lämmer, also der Lammfleischproduktion.

Verkaufst du das Fleisch immer an den gleichen Händler?

Das wechselt schon manchmal. Ich arbeite gerne mit zuverlässigen Leuten zusammen. Der jetzige organisiert die Abholung und den Transport nach Hamburg. Im Sommer, im Herbst und jetzt haben sie dort die Deichlämmer, unsere passen in die Lücke, wenn es dort keine gibt. Lamm hat den Vorteil, dass man es immer verkaufen kann, weil es wenig gibt. Der SelbstversorgungsgradAllgemeine Informationen über den Selbstversorgungsgrad finden Sie auf den Seiten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft https://www.bmel-statistik.de/ernaehrung-fischerei/versorgungsbilanzen/
Speziell die Versorgung mit Schaf und Ziege finden Sie hier: https://www.bzl-datenzentrum.de/versorgung/versorgungsbilanz-fleisch-grafik/
(Abgerufen am 11.04.2021)
liegt nur bei knapp über vierzig Prozent, der Rest kommt aus England, Irland, Frankreich, Neuseeland.

Gibt es in Bezug auf das Schlachtgewicht oder das Alter der Lämmer vorgaben?

Nein, das ist anders, als bei der Schweinemast. Beim Schwein ist es einfacher mit dem Einheitsgewicht, weil die Rassen sich sehr ähneln. Eine Rasse, bei der das Schaf achtzig Kilo wiegt und der Bock einhundertvierzig hat natürlich ein anders ideales Schlachtgewicht für die Lämmer als eine Rasse, bei der das ausgewachsene Schaf nur vierzig Kilo wiegt. Meine Lämmer sollen etwas über vierzig Kilo wiegen. Wenn das Angebot ganz knapp ist, dürfen sie auch ein bisschen schwerer sein.

Es kommt auch darauf an, wo das Fleisch verkauft wird: Beim Metzger liegt es offen in der Fleischtheke. Ein Großhändler will im Gastro-Supermarkt platziert werden, zum Beispiel in der Metro. Also muss dass Kotelett auf die Polyesterschalen passen. Das hat nichts mit der Qualität zu tun. Von dem fünfundfünfzig Kilo Lamm schmeckt es vielleicht viel besser, aber dann passt die Verpackung nicht mehr. Man könnte sagen, mach doch die Verpackung größer, aber das geht nicht, weil drei nebeneinander in die Kiste passen müssen, und die ist genormt. Da sind wir wieder beim berühmten Krümmungsgrad der Gurke. Mit Geschmack oder Qualität hat das nichts zu tun.

Ich trage gerne Schafwolle, allerdings findet man die kaum noch außerhalb der Bio-Label. Verdienst du was am Verkauf der Wolle?

Tja, die Wolle ist halt über zweihundert Jahre lang dran gezüchtet worden an diese Rasse, heute wäre es, um ehrlich zu sein, ohne sie leichter. Bei den fünfundsiebzig Schafen war es letztes Jahr ein schöner Tag mit dem Scherer. Die Wolle liegt noch da, wegen Corona.

Eigentlich verkaufe ich sie. Weil der Sprit so billig ist wird sie um die Welt gekarrt. Meine Schafe sind Merinolandschafe, die haben die zweitbeste Wolle, bei den kleinen Merinoschafen mit den gekräuselten Hörnern ist die Wolle so richtig gekringelt. Dünne Wolle mit vielen Kringeln, das ist die Beste. Die Wolle der Heidschnucke ist das Gegenteil, die sieht aus wie glatte Hundehaare. Früher hat man da Feuerschutzdecken und ähnliches draus gemacht. Es gab für alles immer noch eine Verwertung. Heute konkurrieren wir mit viel günstigerer Kunstfaser. Wenn du einen guten Wollstoff kaufst, einen Anzug zum Beispiel, kommt die Wolle dafür aus Argentinien, Neuseeland, Australien, Südafrika.

Meine Wolle wird von den Aufkäufern stumpf nach China, Indien, Pakistan gekarrt, in Länder mit niedrigen Umweltstandards, wo Leute für wenig Geld arbeiten. Wenn jetzt hier einer anfangen wollte, Wolle zu waschen, gäbe es eine riesige Diskussion wegen der Abwässer. Also, gehen wir doch da hin, wo es keine Klärwerke gibt, das ist einfacher! Es ist ja nichts Giftiges, vielleicht etwas vom Dünger belastet. Aber es braucht natürlich Seife, um das Fett rauszukriegen. Wenn man die Wolle von nur einem Schaf wäscht, passiert ja nichts. Aber bei so viel Wolle sieht der Bach nachher schon anders aus. Die Wolle fährt also rund um die Welt und vielleicht kommt sie wieder.

Darf ich dich fragen, wo du deine Frau kennengelernt hast?

Bei Freunden am Küchentisch, zehn Jahre sind wir jetzt zusammen. Sie hat schon als kleines Kind gesagt, dass sie nicht auf dem Dorf leben will, wenn sie mal groß ist. Bei ihrer Oma in der Stadt war’s warm! Als ich sie kennengelernt habe, hat sie in einem Haus gelebt mit mehr Menschen als in unserem ganzen Dorf. Da kann man alleine sein, das ist anonym.

Es ist schon nicht einfach, unsere Welten zusammen zu bringen. Sie vermisst den gemeinsamen Urlaub. So ist das halt, es hat nicht einmal was mit der Landwirtschaft zu tun, sondern die Selbständigkeit ist der große Unterschied. Gut, ich bin sieben Tage die Woche selbständig, aber das ist ein Bauunternehmer im Zweifelsfall auch.

Wir waren einmal zusammen in Südafrika und drei Tage an der Nordsee. Es ist eben schwierig. Irgendwen brauchst du ja und man fragt nicht gerne. Als wir in Südafrika waren, sind meine Schwestern eingesprungen und mein Vater konnte noch etwas helfen. Das habe ich ihnen hoch angerechnet!

Wie wird es mit dem Hof weitergehen? Habt ihr Kinder?

Nein, leider nicht. Meine Frau möchte später gerne wieder in die Stadt ziehen. Davor graut es mir. Noch bin ich da meilenweit von weg. Ich möchte es mir nicht vorstellen. Ich bin jetzt achtundvierzig und habe im Moment eine Phase, in der ich über alles mögliche nachdenke und ins Grübeln gerate. Mir fehlt die Energie. Schau dich um, Arbeit habe ich genug, ich könnte jeden Morgen um fünf anfangen. 

Ich war zur Kur, aber so richtig auftanken konnte ich nicht. Ich habe nicht das Gefühl, dass der Akku voll ist. Der Wolfsangriff war nicht die alleinige Ursache, es kommt gerade von so vielen Seiten knüppeldick. Wegen der Corona-Maßnahmen fehlt einem alles mögliche, wenn man den ganzen Tag so alleine vor sich hin wurschtelt. Ich war jetzt ein halbes Jahr nicht mehr in der Sauna. Es geht gar nicht darum, im Warmen zu sitzen, sondern dass man sich mit den selben Leuten wie jede Woche über dieselben Themen unterhält.

Jetzt habe ich mir ein PC-Programm gekauft, eine Ackerschlagkartei. (In dieser Kartei werden alle auf einem Flurstück geplanten und durchgeführten landwirtschaftliche Maßnahmen verwaltet. Sie dient als Dokumentations- und Kontrollinstrument. )Von der neuen Düngeverordnung hast du ja sicherlich mitbekommen. Wir müssen alles haarklein planen. Es ist schon illegal, dass ich gestern mit dem Düngerstreuer losgefahren bin und noch keinen schriftlichen Plan habe. Es ist ja völlig egal, dass ich seit dreißig Jahren weiß, wieviel Dünger der Raps im Frühjahr braucht, ich muss für jeden Schlag im Vorfeld schon den Plan dokumentieren und Hinterher mit dem Ist abgleichen. Wenn der Dünger gestreut ist, braucht man nix mehr abgleichen! Wie sinnig ist es, dass du, bevor du Rasen mähst, aufschreibst, ich will jetzt Rasen mähen? Deshalb verrecken die Hummeln doch genauso. Ob du das jetzt aufgeschrieben hast oder nicht!

Wir müssen eine Düngerbilanz aufstellen, das ist ja ok. In einer Tonne ist ein bestimmte Anzahl an Nährstoffen, also entzieht eine Tonne produziertes Getreide dem Boden so und so viel und nur diese Menge muss dem Boden zurückgegeben werden. Dieses Wissen ist da und es hätte eigentlich geschickt. Jetzt sitze ich stundenlang da, alles muss doppelt und dreifach gemacht werden, ich bin doch kein Computerheini. Und dann guckst du dir irgendwas an und es klappt nicht. Es geht mir nicht um die hundertfünfzig Euro, die das Programm kostet. Es ist einfach völlig sinnlos!

Könntet ihr Landwirte hier im Ort euch nicht zusammenschließen und gegenseitig helfen?

Es gibt keine Gemeinschaft hier im Ort. Wenn einer aufhört, hat ein anderer Nutzen daran, weil er sich vergrößern kann. Heute hat ein kleiner gar keine Chance mehr. Ich bewirtschafte hundert Hektar alleine. Mein Vater ist neunzig, er fährt noch mal Trecker, mehr kann er nicht mehr.

Wenn ich die Schafe weghätte, könnte ich schon noch mehr bewirtschaften. Aber es ist ja gar nicht mehr da. Und zu Phantasiepreisen pachte ich doch nichts, es muss sich schon lohnen, nicht nur mehr Arbeit bedeuten.

Wenn ich es richtig sehe, bist du aus Leidenschaft Landwirt geworden, aber jetzt läuft irgendwas schief.

Meine zwei Schwestern sind älter, es stand aber immer fest, dass sie keine Landwirtschaft machen würden. Und ich - ich glaube, ich war sechs oder so, als ich bei einer Feldrundfahrt das erste Mal Auto fahren durfte. Mir hat das schon als Kind immer Spaß gemacht. Aber wenn ich jetzt noch mal Anfang zwanzig wäre, damals war ich eine Zeit bei Verwandten in Südafrika, würde ich nicht nach Deutschland zurück kommen. Wohlwissend, dass man auch im Ausland arbeiten muss. Ich glaube, unsere ganze Gesellschaft ist da, wo das alte Rom am Ende war. Die sind an Faulheit und Dekadenz gescheitert. Wir ruhen uns aus! Da stimme ich dem SchraubenwürthDer Unternehmer Reinhold Würth hat am 3.06.2019 in einem Bild Interview geäußert, dass "ein Land voller Soziologen nichts nützt, es muss auch jemand einen Hammer halten können". zu, der hat wohl mal gesagt, es nützte uns nichts, wenn wir nur noch Soziologen haben, wir brauchen auch noch Leute, die den Hammer festhalten können. Die Wertschätzung für viele handwerkliche Berufe fehlt.

Außerdem merke ich es an den Knochen. Mir wäre es im Warmen vielleicht besser gegangen. Man hat einfach auch lange Tage. Die Schafe sind mein Ausgleich.