Hans Appel

Man sagte, dass eine Person sechs Kühe zu melken schaffte am Tag, mehr war selbst für geübte Leute nicht drin.

Herr Appel, wir sind hier auf dem Fehrenberg. Heute befindet sich hier eine große Reitanlage, die von ihrem Nachbarn betrieben wird. Früher haben Sie hier einen Hof bewirtschaftet, wie kam es denn dazu?

Ab 1630 gab es hier auf dem Fehrenberg zwei Höfe, davor war hier eine Außenstelle des Klosters Breitenau. Einen davon hat mein Ur-Ur-Großvater bewirtschaftet. Ich wurde 1950 als einziges Kind geboren. Ich war 21, da hat mir mein Vater den Hof schon überschrieben. Bei anderen war es eher der Fall, dass die ältere Generation nicht abgeben wollte. Bei mir war’s umgekehrt, ich wollte ihn noch gar nicht. Drei Jahre später ist mein Vater schon gestorben.

Eine Lehre, das gab’s damals zwar schon, aber das haben nicht alle Bauern gemacht. Wie gesagt, der Vater, der war ja nicht mehr da, da konnt’ ich schlecht weg hier. Ich war gerne Landwirt, aber ich hätte auch einen anderen Beruf gemacht. Die letzten sechzehn Jahre habe ich bei einer Spedition gearbeitet, da hatten wir aufgehört mit der Landwirtschaft.

Damals hatte ein Hof alles: Milchvieh, Schweine, Hühner, Gemüse, Getreide und so. Die Schweine liefen hier noch frei rum. Bei uns selber nur, wenn der Stall sauber gemacht wurde. Aber die vom Nachbarn schon noch. Die Anforderungen an die Mast wurden immer höher. Es musste schneller gehen, damit man was verdienen konnte. Wenn die Schweine frei rumliefen, dann dauerte das zu lange, bis die zunahmen.

Man musste immer mehr Leistung erzielen bei den Tieren, damit man in der Wirtschaftlichkeit blieb. Mit einer Kuh, die zehn Liter Milch gibt, sind die Kosten für den Stall und die Arbeit und Sonstiges höher, als das, was man erlösen kann. Deshalb kam der Einsatz von Kraftfutter auf. Dazu kam die Technisierung. Vorher hatten wir sechs Kühe, durch die Melkmaschine konnten wir dann auf einmal dreißig halten. Eine Person schaffte so sechs Kühe zu melken am Tag, mehr war selbst für geübte Leute nicht drin. Heutzutage gibt’s ja schon Melkroboter, wo die Kühe selber rein gehen und sowas alles.

Als ich Kind war, haben hier zwölf Leute auf dem Hof gearbeitet. Später nur Familie. Meine Mutter, und dann war noch ein Onkel auf dem Hof, aber der war körperlich nicht fit. Wie es üblich war, musste ich die Versorgung des Onkels übernehmen. Das ist im Übergabevertrag festgehalten worden. 

Der alte Stall war baufällig, da war so viel kaputt dran, das Dach war kaputt. Wenn da auf der einen Seite die Schrotmühle lief, dann wackelte auf der anderen Seite die Wand. Da musste ich was machen. Einen Schweinestall und einen Kuhstall neu zu bauen, das war nicht drin. Also haben wir uns auf Kühe spezialisiert. Die hatten immer Weidegang, wir mussten nicht durch’s Dorf und hatten die Kühe immer draußen.

Hat man dann weniger Arbeit?

Nee, man muss ja auch Weidezäune in Ordnung halten und so. Aber wenn sie dauerhaft im Stall sind, dann hat man Arbeit mit Entmisten und sowas, wenn man mit Stroh macht. Man spart die Arbeit, wenn man auf Gülle geht, das wollte ich aber nicht. Auf Gülle gehen.

Was bedeutet das, auf Gülle gehen?

Die Kühe laufen auf Spaltenböden, durch die fällt der Mist durch. Dann schiebt man alles nur durch in eine Grube. Man muss keinen Mist mehr aufladen und breitstreuen, das geht alles mechanisch. Ich hab das für ziemlich umweltbelastend gehalten. 1976 hab ich den Stall gebaut. Mein Vater war gestorben und wir wussten nicht mehr, wie wir’s mit der Arbeit alles schaffen sollten. Da mussten wir etwas Moderneres machen, wir hätten auf Gülle gehen können, aber ich hatte damals keine Lust da drauf.

Da gab es also die Entscheidung, Anbindestall und Stroh oder Freilauf und Spaltenboden. War das damals so?

Ja, so war das. Einen Tretmiststall und sowas, das gab’s damals nicht, zumindest kannte ich es nicht. Ich habe mich für einen Anbinde-Stall entschieden, weil ich die Kühe ja nicht auf Spaltenboden oder so was halten wollte, sondern auf Stroh. Die Kühe waren jeden Tag draußen.

Und wie hat man es mit den Kälbchen gehalten?

Die Kälbchen waren im gleichen Stall. Die Kühe konnten ihre Kälbchen sehen, und die haben ja auch die Milch von der Mutter gekriegt. Die ersten vier, fünf Tage kann man die Milch nicht in die normale Milch mit reinmachen. Die schmeckt anders, die ist auch irgendwie dicker.

Frau Appel (sitzt ein paar Meter weiter von uns am Küchentisch und ergänzt fortan unser Gespräch): Selbst nach einer Woche hat man das noch geschmeckt. Ich habe da schon drauf geachtet, vor allem beim Direktverkauf. Aber die Biestmilch, so nennt man die, soll sehr gesund sein, sie wird von Heilpraktikern für Magenkranke benutzt.

An die Molkerei darf man die Milch der ersten drei Tage nicht liefern. Die Kühe geben ja mehr Milch, als das Kalb braucht. Dann haben die anderen Kälber auch diese Milch bekommen, nicht nur von ihrer Mutter. Und wir haben die Milch mit reingenommen, haben den Rahm abgeschöpft und Butter gemacht. Die Magermilch haben dann die älteren Kälber gekriegt, die, die Biestmilch nicht mehr brauchten.

Wie alt sind Ihre Kühe geworden?

Herr Appel: Als wir auf Bio umgestellt hatten, wurden sie wieder älter. Eine Kuh war über zwanzig. Im konventionellen Bereich kommt sowas so gut wie gar nicht mehr vor.

Hatten ihre Kühe Namen?

Ja natürlich, das hatten sie.

Gab es damals schon viele Bio-Betriebe?

Die ersten Bio-Betriebe haben schon in den Zwanzigern angefangen. Da kamen die ersten synthetischen Dünger raus, die brachten natürlich enorme Ertragssteigerungen. Wenn die Bauern das sehen, wird’s auch angewendet, dann wird nicht mehr hinterfragt, warum und wieso. Ich wollte das nicht mehr und bin auf Bio umgestiegen. 

Ich war dann bei Demeter dabei. Ich fand gut, dass man bei Demeter den gesamten Betrieb sieht. Ich hab mich da einfach wohl gefühlt, mit den Leuten, die da drin waren, die haben mich sehr angesprochen. Bei Bioland war für mich das Gemeinschaftsgefühl nicht da. Damals habe ich es so empfunden, dass Bioland genauso war wie konventionell, die haben sich nur darauf beschränkt, die chemische Düngung wegzulassen. Aber wie das heute ist, kann ich nicht beurteilen.

Konnten die Demeter Betriebe denn für ihre Milch höhere Preise erzielen als mit konventioneller Haltung?

Mit Getreide hat man im Bio-Landbau damals ziemlich gut verdient. Die Milch hingegen war ein Zusatzgeschäft, weil man nur konventionelle Preise erzielte. Roggen und Weizen haben das Geld gebracht, von der Milch blieb nicht großartig was übrig. Wir Bio-Bauern haben unsere Milch an die konventionelle Molkerei geliefert. Sie ist praktisch vermischt worden.

Sie mussten also erst einmal eine Molkerei finden, die ihre Milch verarbeiten konnte?

Ja, es war klar, dass wir unsere Milch getrennt verkaufen müssten, damit wir etwas höhere Erlöse erzielen können. Es gab viele Schwierigkeiten, bis wir soweit waren wie jetzt! Ein Kollege hat einen Rundruf gestartet: Da wurde eine kleine Molkerei stillgelegt, wollen wir die nicht übernehmen? Leider mussten wir feststellen, dass dort alles marode war, aber die Idee war somit geboren. Uns war klar, dass nur wir Demeter Bauern das nicht schaffen können, sondern dass wir die Bioland-Bauern dazu holen müssen. Diese waren auch mehr und haben die Initiative übernommen.

Es gab auch Überlegungen, unsere Milch in einer größeren Molkerei getrennt verarbeiten zu lassen. Ich hatte bei unserer Molkerei nachgefragt, die wären sogar bereit dazu gewesen, das war nicht selbstverständlich. Aber dann haben sie festgestellt, dass ungefähr 1000 Liter Bio-Milch durch die Leitungen fließen müssen, bevor diese unvermischt mit der konventionellen Milch ankommt. So viel Verlust, das ging auch nicht!

Dann haben wir eine kleine Molkerei aufgetan, in Lichtenfels-SachsenbergDie damals "kleinste Molkerei Nordhessens" musste 2013 nach 94 Betriebsjahren schließen. https://www.hna.de/lokales/frankenberg/kleinste-molkerei-nordhessens-5390949.html (abgerufen am 11.04.2021)., dort haben sie ab 1987 unsere Bio-Milch verarbeitet. Am Anfang haben wir zwei Pfennig mehr bekommen pro Liter.

Die Marktmacht von den Supermärkten ist immer größer geworden. Das Regal muss immer voll sein. Wehe, man kann mal nicht liefern, dann fliegt man sofort aus dem Sortiment. Wir hatten zum Beispiel mal eine größere Nachfrage nach Bio-Quark, für die unsere Molkerei nicht ausgerüstet war. Die Kurhessen-Molkerei hätte es schon gemacht, aber ihre Maschine war auf 16.000 Liter Milch ausgerichtet, soviel hätten wir gar nicht zusammen gekriegt. Dass man die Nachfrage nicht sofort bedienen kann, das ist immer mal bei einer kleinen Molkerei gegeben. Je größer die Molkerei ist, desto sicherer kann sie alle Produkte liefern. Den Überschuss kann sie nach Russland oder so verkaufen. Eine kleine Molkerei hat die Beziehungen und die Möglichkeiten gar nicht, die haben keine Chance und sind ja inzwischen fast alle geschlossen worden.

Als dann 1996 die Upländer BauernmolkereiZur Geschichte der Upländer Bauernmolkerei finden Sie auf der Internetseite ausführliche Informationen: https://www.bauernmolkerei.de/wir-ueber-uns/unsere-geschichte.html (abgerufen am 11.04.2021) gegründet wurde, hat jeder von uns Bio-Milchbauern eine Einlage bezahlt, damit das in Gang kam. Das mussten wir dann von den Einnahmen aus dem Milchpreis abziehen. 

Musste man damals schon so viel Papierkram erledigen?

Die erste Zeit nicht, da hat man einfach Bio gemacht. Das hat sich rumgesprochen und die Leute sind hergekommen und haben Getreide gekauft. Wir haben damals Milch und Gemüse und Kräuter direkt verkauft, das hat dann auch noch ein paar Erlöse ergeben. In Kassel entstanden Milchringe: Da haben sich die Nachbarn zusammen getan und abgewechselt mit dem Milchholen. Eine Mark hat der Liter gekostet. 

Frau Appel: Das war sehr arbeitsintensiv! Allein die Milchkammer sauber zu machen hat eine Stunde gedauert.

Herr Appel: Und dann kommt noch dazu, dass die Leute, wie man im Hessischen sagt, schnuddeln wollten. Das war schon nett, aber wenn man jetzt gerade was vorhatte, dann störte es doch ein bisschen. 

Frau Appel, haben Sie noch nebenbei gearbeitet?

Frau Appel: Nein, das konnte ich nicht! Ich hatte einen 16-Stundentag. Wir hatten ja noch Gemüse und Kartoffeln und Heilkräuter. Die mussten auch noch bewirtschaftet und Unkräuter gejätet werden. Da war kein Urlaub drin. Ich hab mir mal einen halben Tag frei genommen. Aber drei bis vier Wochen Urlaub im Jahr, wie die meisten haben, da bin ich im Leben nicht draufgekommen. Samstags und sonntags haben wir auch noch gearbeitet.

Empfanden Sie ihr Leben entbehrungsreich?

Frau Appel: Nein, entbehrungsreich war unser Leben nicht. Wir haben ja dahinter gestanden. Ich meine, den Verdienst darf man nicht sehen, die Substanz wurde immer weniger. Die Schulden, die sind schon eine Belastung. Das Körperliche merkt man auch. Vor allem bei mir, da ist alles verbraucht, die Wirbelsäule, die Knie. Durch das viele Heben, das war viel zu viel für eine Frau. Ich habe die Bio-Läden in Kassel beliefert, ein bis zwei Mal wöchentlich fünfzehn Kisten, manchmal musste ich sie weit schleppen, weil ich keinen Parkplatz gefunden habe.

Ernähren Sie sich noch immer mit biologisch angebauten Lebensmitteln?

Frau Appel: Wir haben noch nie alles Bio essen können, das konnten wir nicht bezahlen! Selbst als wir Bio angebaut haben, konnte ich nie im Laden Bio kaufen. Es gab auch nicht jeden Tag Fleisch, es gab Fleischtage und Eiertage. Manchmal auch nichts von beidem. Hühner hatten wir immer, für die Eier. Die haben wir aber nie geschlachtet, die sterben bei uns, wenn sie alt sind.

Und ich habe eben im Garten auch Enten gesehen!

Frau Appel: Die Enten hat mein Mann angeschafft.

Herr Appel: Die werden aber nicht geschlachtet. Die sind so scheu. Die fressen die Schnecken im Gemüsegarten. 

Wie kam es, dass Sie später bei einer Spedition gearbeitet haben?

Nun, es wurde dann mit der Landwirtschaft immer schlechter, meine Frau wurde krank. Der Onkel konnte eh nicht helfen. Wegen der staatlichen Auflagen hätten wir einen neuen Stall bauen müssen. Für den Demeter-Verband war der Anbindestall ok, weil wir ja täglichen Weidegang hatten, nur für die Deutsche Bioverordnung nicht. Eigentlich hatten unsere Kühe genug Auslauf. Der Staat entscheidet willkürlich, ohne überhaupt eine Ahnung zu haben. Die haben ihre Agenda, die ziehen sie durch.

Es kam aber vieles zusammen. Die Auflagen wurden immer höher, man muss investieren. Gleichzeitig sind die Getreidepreise enorm runter gegangen und die Milchpreise auch. Es ist ein bisschen durch die Bio-Molkerei aufgefangen worden, die mehr zahlen konnte. Aber was war das: Zwei Pfennig pro Liter mehr als für konventionelle Milch. Bei achtunddreißig Kühen… wir hatten einen Tausend-Liter-Tank, der hat zwei Tage gereicht.

Ein Betrieb muss immer weiter wachsen, um sich zu lohnen. Die meisten machen das, indem sie Flächen hinzu pachten. Aber hier kriegt man nichts mehr. Im Gegenteil, ich hatte Flächen gepachtet, die wurden zugebaut, der Betrieb wurde immer kleiner. Das ging plötzlich ganz schnell. Den Geschäftsführer von der Spedition, den kannte ich ganz gut, und den hatte ich mal gefragt. Erst gab es nichts, aber dann irgendwann suchten sie Leute, da war ich 48.

Und dann haben Sie von jetzt auf sofort den Hof aufgegeben?

Ich musste mich praktisch innerhalb von drei Tagen entscheiden. Ein paar Wochen lief es noch weiter, nebenbei. Das war natürlich unmöglich, arbeiten zu gehen und den Hof noch nebenher zu machen. Einen Großteil der Kühe haben wir verkauft. Und die, die nicht so gut waren oder älter, die mussten dann halt zum Schlachten gehen.

War die Entscheidung sehr emotional?

Ja, das war es schon. Aber zum Glück hatten wir damals so viel zu tun, dass wir gar nicht zum Nachdenken gekommen sind. 

Frau Appel: Der Gemüsegarten ging weiter. Es ging ja auch schnell, da kamen gleich die Kühe weg, keine Zeit für Abschiedsschmerz.

Herr Appel: Dann sind wir das erste Mal in den Urlaub gefahren, nach einem Jahr ungefähr das erste Mal. Ein altes Wohnmobil habe ich dann gekauft, aber immer nur ein paar Tage, nie länger.

Sie haben bestimmt jung geheiratet.

Frau Appel: Ja, ich war 20 damals.

Hatten Sie nach der Umstellung auf einen biologisch-dynamischen Betrieb mehr Arbeit?

Frau Appel: Ja, am Anfang ging das noch mit der Arbeit für mich, als wir noch ein konventioneller Betrieb waren, da war ich so vier, fünf Stunden täglich im Stall. Die viele Arbeit fing dann an, als wir ein ökologischer Betrieb wurden. Da hatte ich gerade die zweite Tochter gekriegt. Ich hatte viel zu wenig Zeit für das Baby, die Schwester musste sich früh kümmern. So ein Baby hätte viel mehr Zeit mit der Mutter gebraucht. Aber das geht ja jeder berufstätigen Frau so.

Herr Appel: Getreide und so, die ganzen Feldfrüchte, wenn man mit der Spritze drüber fahren kann, ist man schnell fertig. Aber wenn man hacken muss, dann dauert das. 

Frau Appel: Ich bin dann auch viel sonntags auf dem Acker gewesen. Manchmal kamen Leute und haben mir die Küchenkräuter abgeschnitten und geklaut. Das passierte auch. Nachdem ich den ganzen Tag das Unkraut gejätet hatte.

Herr Appel: Wir haben auch Zwiebeln angebaut, die muss man trocknen. Heute werden sie künstlich getrocknet, damals lagen sie auf dem Feld. Da haben sie uns massenweise die Zwiebeln geklaut. Da hatte man die ganze Arbeit gemacht, das Anbauen und alles, und dann wird das Zeug noch geklaut. 

Heute werden ja viele Kühe hornlos gezüchtet. Waren die HörnerIn der Literatur finden sich zahlreiche Informationen über die Bedeutung der Hörner. Ich fand besonders diesen Beitrag interessant.
Wer sich ausführlicher informieren möchte, kann hier fündig werden: https://www.fibl.org/de/shop/1662-kuhhorn.html
Der Demeter Verband verpflichtet seine Milchkuhbetriebe zur Hornkuhhlatung und betreibt ein eigene Informationsplattform https://www.hornkuh.de,
während im konventionellen Ställen auf die genetisch hornlose Kuh gesetzt wird. In einem der von mir besuchten Ställe waren bereits vierzig Prozent der Kühe genetisch hornlos, die anderen wurden enthornt, was der gängigen Praxis entspricht.
Dass das Horn einen Einfluss auf die Qualität der Milch hat, ist umstritten und konnte noch nicht wissenschaftlich belegt werden. https://www.medizin-transparent.at/milch-enthornte-kuh/
Zum dem Ergebnis, dass die Pasteurisierung der Milch einen wesentlich größeren Einfluss auf deren Verträglichkeit hat, kommt der Milchforscher und ehemalige Professor Ton Baars https://www.lebendigeerde.de/fileadmin/lebendigeerde/pdf/2019/Forschung_2019-4.pdf
bei Ihnen damals ein Problem?[1]

Herr Appel: Alle unsere Kühe hatten Hörner. Damals hat man die Kühe häufig enthornt, indem man die Hornansätze ausgebrannt hat, oder chemisch verätzt. Das wollte ich nicht. Eine hornlose Kuh ist für mich keine Kuh!

Das Horn ist ja ein Organ. Es erscheint einem zwar im ersten Moment nutzlos, aber ich habe damals zum Beispiel gelesen, dass die Rangordnung in der Herde dadurch festgelegt wird und sie weniger kämpfen.

Auf der Weide hatten sie kaum Verletzungen mit dem Horn. Aber sie sind sich auf den Strich getreten. Da haben sie sich öfter verletzt, an den Zippeln vom Euter. Eine Kuh ist so schwer und hat so wenige Muskeln, dass die Kraft gar nicht reicht, um aufzustehen. Deshalb müssen sie sich aufschwingen beim Aufstehen und es kann dann passieren, dass sie sich auf ihr eigenes Euter treten. Das war komischerweise so, dass wir im Anbindestall nie diese Verletzungen hatten, nur auf der Weide. Die Verletzungsgefahr auf der Weide ist einfach höher.

Haben Sie selber mal gefährliche Situationen erlebt?

Herr Appel: Natürlich sind die Tiere schon auf Grund ihrer Größe und ihres Gewichtes nicht ungefährlich. Unser großer Bulle war ganz friedlich. Wenn man ihn gekrault hat, dann hat er sich so gefreut, aber er hat auch den Kopf hin und her geschüttelt, da durfte man nicht in die Nähe gehen. Die Tiere sind gutwillig, wissen aber gar nicht, welche Kraft sie haben.

Frau Appel: Wenn ich die Herde getrieben habe, sind die Leute oft so nah gekommen, dass ich sie bitten musste, aufzupassen. Die Tiere sind ja nicht bösartig, aber wenn sie sich bedroht fühlen, zum Beispiel durch einen Hund, kann schon etwas passieren. Ich selber habe mal einen Schlag von einem Rind über dem Auge abbekommen, beim Anbinden. Man hat äußerlich keine Verletzung gesehen, ich hatte nur ganz starke Schmerzen im Auge und seitdem kann ich nicht mehr gut damit sehen. Da war ich ungefähr dreißig, als das passiert ist. Sowas kann einem in jedem Stall passieren.

Herr Appel: Einen Bullen haben wir dazu gekauft, da durfte man nicht von links kommen, dann fing er an zu toben. Wer weiß, ob der Vorbesitzer ihn mal von links geschlagen hatte. Es gibt ja so Sachen, die sich die Tiere merken.

Bei einer Kuh, die war über zwanzig Jahre alt, wuchs das Horn fast ins Auge rein. Da es immer weiter wächst, musste ich was machen. Man kann ja das Horn an der schwarzen Spitze absägen, da sind keine Nerven drin, das habe ich dann gemacht. Aber sie mochte es danach nicht mehr, wenn ich sie von vorne angesprochen habe, so merken sich das die Tiere. Dass ich ihr helfen wollte, das hat ja die Kuh nicht verstanden.

Wie stehen Sie denn heute zur Nutztierhaltung?

Tiere braucht man in der Landwirtschaft, um die Dinge an sie zu verfüttern, die der Mensch nicht essen kann. Zum Beispiel Gras. Das kann der Mensch nicht essen, aber wenn wir es an Kühe verfüttern, können wir die Milch trinken. Oder die Eier. Früher liefen die Hühner auf dem Hof rum und haben das aufgepickt, was die Menschen verloren hatten. Es wurde viel mit Säcken transportiert und hier und da rieselten ein paar Körner raus. Das war dann nicht verloren, sondern die Hühner haben es aufgepickt. Oder die Schweine. Wir leben ja hier am Waldrand, sie wurden in den Wald getrieben, haben dort die Eicheln und Bucheckern aufgefressen und dadurch die Menschen ernährt. Dafür sind eigentlich die Tiere wichtig, um das zu verwerten, was der Mensch selber nicht essen kann. Aber was heute gemacht wird, hat damit nichts mehr zu tun. Die Tiere werden ja mit Getreide und hochwertigen Dingen gefüttert, die wir Menschen eigentlich selber essen könnten.

Im Bio Bereich ist heute auch nicht alles gut, die Entfernungen vom Produkt zum Kunden werden immer größer. Deshalb kaufen wir lieber konventionell aus der Nähe, als Bio sonst woher. Idealerweise natürlich Bio aus der Region.

Sind sie glücklich gewesen mit ihrem Leben als Landwirte?

Frau Appel: Unglücklich sind wir auch nicht gewesen. Es ist schon traurig, dass wir den Hof aufgeben mussten. Seit dem 16. Jahrhundert war er in Familienbesitz, und dann ist es innerhalb einer Generation vorbei. Aber direkt unglücklich sind wir nicht gewesen. Ich hätte mich vielleicht etwas besser um mich kümmern sollen, dann würde es mir heute gesundheitlich besser gehen.

Herr Appel: Im Nachhinein hätte man manches anders machen können, aber grundsätzlich würde ich es wieder machen. Mit dem Wissen von heute ist man immer schlauer.

Ich habe ja auch noch viele Sachen nebenbei gemacht. Damals war das Waldsterben ein großes Thema und die Atomkraft, da war ich überall dabei. Für richtige Freundschaften hatten wir keine Zeit, aber wir hatten ja viele Gesprächsthemen durch die Milchkunden. Und alle vier Wochen haben wir Bauern vom Demeter Verband uns getroffen.

Frau Appel: Es wäre besser gewesen, ich hätte mich nach dem Unfall mit dem Bullen richtig erholt, anstatt einfach weiter zu arbeiten. Dann ist es irgendwann zum Zusammenbruch gekommen. Ich war im Krankenhaus.

Wo kaufen Sie denn heute ihre Milch?

Frau Appel: Wir holen die Milch beim Biobauern im Nachbardorf und trinken jeden Tag welche, lauwarm. Wir mussten ja auch das Schild aufhängen, dass die Milch vor dem Verzehr abgekocht werden muss. Natürlich hatten wir das hängen, aber selber haben wir sie nie abgekocht.

Herr Appel: Die Zusammensetzung der Milch verändert sich ja auch beim Erhitzen, ob das so gesund ist, weiß niemand. Ich habe schon immer ziemlich viel Milch getrunken. Jetzt gibt es dort einen Automaten, das hat den Vorteil, dass man immer hingehen kann und Milch bekommt. Aber es ist schon schade, dass man nicht mehr mit der Bäuerin schnuddeln kann.

Footnotes

  1. In der Literatur finden sich zahlreiche Informationen über die Bedeutung der Hörner. Ich fand besonders diesen Beitrag interessant.
    Wer sich ausführlicher informieren möchte, kann hier fündig werden: https://www.fibl.org/de/shop/1662-kuhhorn.htmlDer Demeter Verband verpflichtet seine Milchkuhbetriebe zur Hornkuhhlatung und betreibt ein eigene Informationsplattform https://www.hornkuh.de,während im konventionellen Ställen auf die genetisch hornlose Kuh gesetzt wird. In einem der von mir besuchten Ställe waren bereits vierzig Prozent der Kühe genetisch hornlos, die anderen wurden enthornt, was der gängigen Praxis entspricht.Dass das Horn einen Einfluss auf die Qualität der Milch hat, ist umstritten und konnte noch nicht wissenschaftlich belegt werden. https://www.medizin-transparent.at/milch-enthornte-kuh/Zum dem Ergebnis, dass die Pasteurisierung der Milch einen wesentlich größeren Einfluss auf deren Verträglichkeit hat, kommt der Milchforscher und ehemalige Professor Ton Baars https://www.lebendigeerde.de/fileadmin/lebendigeerde/pdf/2019/Forschung_2019-4.pdf