Herr Appel, wir sind hier auf dem Fehrenberg. Heute befindet sich hier eine große Reitanlage, die von ihrem Nachbarn betrieben wird. Früher haben Sie hier einen Hof bewirtschaftet, wie kam es denn dazu?
Ab 1630 gab es hier auf dem Fehrenberg zwei Höfe, davor war hier eine Außenstelle des Klosters Breitenau. Einen davon hat mein Ur-Ur-Großvater bewirtschaftet. Ich wurde 1950 als einziges Kind geboren. Ich war 21, da hat mir mein Vater den Hof schon überschrieben. Bei anderen war es eher der Fall, dass die ältere Generation nicht abgeben wollte. Bei mir war’s umgekehrt, ich wollte ihn noch gar nicht. Drei Jahre später ist mein Vater schon gestorben.
Eine Lehre, das gab’s damals zwar schon, aber das haben nicht alle Bauern gemacht. Wie gesagt, der Vater, der war ja nicht mehr da, da konnt’ ich schlecht weg hier. Ich war gerne Landwirt, aber ich hätte auch einen anderen Beruf gemacht. Die letzten sechzehn Jahre habe ich bei einer Spedition gearbeitet, da hatten wir aufgehört mit der Landwirtschaft.
Damals hatte ein Hof alles: Milchvieh, Schweine, Hühner, Gemüse, Getreide und so. Die Schweine liefen hier noch frei rum. Bei uns selber nur, wenn der Stall sauber gemacht wurde. Aber die vom Nachbarn schon noch. Die Anforderungen an die Mast wurden immer höher. Es musste schneller gehen, damit man was verdienen konnte. Wenn die Schweine frei rumliefen, dann dauerte das zu lange, bis die zunahmen.
Man musste immer mehr Leistung erzielen bei den Tieren, damit man in der Wirtschaftlichkeit blieb. Mit einer Kuh, die zehn Liter Milch gibt, sind die Kosten für den Stall und die Arbeit und Sonstiges höher, als das, was man erlösen kann. Deshalb kam der Einsatz von Kraftfutter auf. Dazu kam die Technisierung. Vorher hatten wir sechs Kühe, durch die Melkmaschine konnten wir dann auf einmal dreißig halten. Eine Person schaffte so sechs Kühe zu melken am Tag, mehr war selbst für geübte Leute nicht drin. Heutzutage gibt’s ja schon Melkroboter, wo die Kühe selber rein gehen und sowas alles.
Als ich Kind war, haben hier zwölf Leute auf dem Hof gearbeitet. Später nur Familie. Meine Mutter, und dann war noch ein Onkel auf dem Hof, aber der war körperlich nicht fit. Wie es üblich war, musste ich die Versorgung des Onkels übernehmen. Das ist im Übergabevertrag festgehalten worden.
Der alte Stall war baufällig, da war so viel kaputt dran, das Dach war kaputt. Wenn da auf der einen Seite die Schrotmühle lief, dann wackelte auf der anderen Seite die Wand. Da musste ich was machen. Einen Schweinestall und einen Kuhstall neu zu bauen, das war nicht drin. Also haben wir uns auf Kühe spezialisiert. Die hatten immer Weidegang, wir mussten nicht durch’s Dorf und hatten die Kühe immer draußen.
Hat man dann weniger Arbeit?
Nee, man muss ja auch Weidezäune in Ordnung halten und so. Aber wenn sie dauerhaft im Stall sind, dann hat man Arbeit mit Entmisten und sowas, wenn man mit Stroh macht. Man spart die Arbeit, wenn man auf Gülle geht, das wollte ich aber nicht. Auf Gülle gehen.
Was bedeutet das, auf Gülle gehen?
Die Kühe laufen auf Spaltenböden, durch die fällt der Mist durch. Dann schiebt man alles nur durch in eine Grube. Man muss keinen Mist mehr aufladen und breitstreuen, das geht alles mechanisch. Ich hab das für ziemlich umweltbelastend gehalten. 1976 hab ich den Stall gebaut. Mein Vater war gestorben und wir wussten nicht mehr, wie wir’s mit der Arbeit alles schaffen sollten. Da mussten wir etwas Moderneres machen, wir hätten auf Gülle gehen können, aber ich hatte damals keine Lust da drauf.
Da gab es also die Entscheidung, Anbindestall und Stroh oder Freilauf und Spaltenboden. War das damals so?
Ja, so war das. Einen Tretmiststall und sowas, das gab’s damals nicht, zumindest kannte ich es nicht. Ich habe mich für einen Anbinde-Stall entschieden, weil ich die Kühe ja nicht auf Spaltenboden oder so was halten wollte, sondern auf Stroh. Die Kühe waren jeden Tag draußen.
Und wie hat man es mit den Kälbchen gehalten?
Die Kälbchen waren im gleichen Stall. Die Kühe konnten ihre Kälbchen sehen, und die haben ja auch die Milch von der Mutter gekriegt. Die ersten vier, fünf Tage kann man die Milch nicht in die normale Milch mit reinmachen. Die schmeckt anders, die ist auch irgendwie dicker.
Frau Appel (sitzt ein paar Meter weiter von uns am Küchentisch und ergänzt fortan unser Gespräch): Selbst nach einer Woche hat man das noch geschmeckt. Ich habe da schon drauf geachtet, vor allem beim Direktverkauf. Aber die Biestmilch, so nennt man die, soll sehr gesund sein, sie wird von Heilpraktikern für Magenkranke benutzt.
An die Molkerei darf man die Milch der ersten drei Tage nicht liefern. Die Kühe geben ja mehr Milch, als das Kalb braucht. Dann haben die anderen Kälber auch diese Milch bekommen, nicht nur von ihrer Mutter. Und wir haben die Milch mit reingenommen, haben den Rahm abgeschöpft und Butter gemacht. Die Magermilch haben dann die älteren Kälber gekriegt, die, die Biestmilch nicht mehr brauchten.
Wie alt sind Ihre Kühe geworden?
Herr Appel: Als wir auf Bio umgestellt hatten, wurden sie wieder älter. Eine Kuh war über zwanzig. Im konventionellen Bereich kommt sowas so gut wie gar nicht mehr vor.
Hatten ihre Kühe Namen?
Ja natürlich, das hatten sie.
Gab es damals schon viele Bio-Betriebe?
Die ersten Bio-Betriebe haben schon in den Zwanzigern angefangen. Da kamen die ersten synthetischen Dünger raus, die brachten natürlich enorme Ertragssteigerungen. Wenn die Bauern das sehen, wird’s auch angewendet, dann wird nicht mehr hinterfragt, warum und wieso. Ich wollte das nicht mehr und bin auf Bio umgestiegen.
Ich war dann bei Demeter dabei. Ich fand gut, dass man bei Demeter den gesamten Betrieb sieht. Ich hab mich da einfach wohl gefühlt, mit den Leuten, die da drin waren, die haben mich sehr angesprochen. Bei Bioland war für mich das Gemeinschaftsgefühl nicht da. Damals habe ich es so empfunden, dass Bioland genauso war wie konventionell, die haben sich nur darauf beschränkt, die chemische Düngung wegzulassen. Aber wie das heute ist, kann ich nicht beurteilen.
Konnten die Demeter Betriebe denn für ihre Milch höhere Preise erzielen als mit konventioneller Haltung?
Mit Getreide hat man im Bio-Landbau damals ziemlich gut verdient. Die Milch hingegen war ein Zusatzgeschäft, weil man nur konventionelle Preise erzielte. Roggen und Weizen haben das Geld gebracht, von der Milch blieb nicht großartig was übrig. Wir Bio-Bauern haben unsere Milch an die konventionelle Molkerei geliefert. Sie ist praktisch vermischt worden.
Sie mussten also erst einmal eine Molkerei finden, die ihre Milch verarbeiten konnte?
Ja, es war klar, dass wir unsere Milch getrennt verkaufen müssten, damit wir etwas höhere Erlöse erzielen können. Es gab viele Schwierigkeiten, bis wir soweit waren wie jetzt! Ein Kollege hat einen Rundruf gestartet: Da wurde eine kleine Molkerei stillgelegt, wollen wir die nicht übernehmen? Leider mussten wir feststellen, dass dort alles marode war, aber die Idee war somit geboren. Uns war klar, dass nur wir Demeter Bauern das nicht schaffen können, sondern dass wir die Bioland-Bauern dazu holen müssen. Diese waren auch mehr und haben die Initiative übernommen.
Es gab auch Überlegungen, unsere Milch in einer größeren Molkerei getrennt verarbeiten zu lassen. Ich hatte bei unserer Molkerei nachgefragt, die wären sogar bereit dazu gewesen, das war nicht selbstverständlich. Aber dann haben sie festgestellt, dass ungefähr 1000 Liter Bio-Milch durch die Leitungen fließen müssen, bevor diese unvermischt mit der konventionellen Milch ankommt. So viel Verlust, das ging auch nicht!
Dann haben wir eine kleine Molkerei aufgetan, in Lichtenfels-SachsenbergDie damals "kleinste Molkerei Nordhessens" musste 2013 nach 94 Betriebsjahren schließen. https://www.hna.de/lokales/frankenberg/kleinste-molkerei-nordhessens-5390949.html (abgerufen am 11.04.2021)., dort haben sie ab 1987 unsere Bio-Milch verarbeitet. Am Anfang haben wir zwei Pfennig mehr bekommen pro Liter.
Die Marktmacht von den Supermärkten ist immer größer geworden. Das Regal muss immer voll sein. Wehe, man kann mal nicht liefern, dann fliegt man sofort aus dem Sortiment. Wir hatten zum Beispiel mal eine größere Nachfrage nach Bio-Quark, für die unsere Molkerei nicht ausgerüstet war. Die Kurhessen-Molkerei hätte es schon gemacht, aber ihre Maschine war auf 16.000 Liter Milch ausgerichtet, soviel hätten wir gar nicht zusammen gekriegt. Dass man die Nachfrage nicht sofort bedienen kann, das ist immer mal bei einer kleinen Molkerei gegeben. Je größer die Molkerei ist, desto sicherer kann sie alle Produkte liefern. Den Überschuss kann sie nach Russland oder so verkaufen. Eine kleine Molkerei hat die Beziehungen und die Möglichkeiten gar nicht, die haben keine Chance und sind ja inzwischen fast alle geschlossen worden.
Als dann 1996 die Upländer BauernmolkereiZur Geschichte der Upländer Bauernmolkerei finden Sie auf der Internetseite ausführliche Informationen: https://www.bauernmolkerei.de/wir-ueber-uns/unsere-geschichte.html (abgerufen am 11.04.2021) gegründet wurde, hat jeder von uns Bio-Milchbauern eine Einlage bezahlt, damit das in Gang kam. Das mussten wir dann von den Einnahmen aus dem Milchpreis abziehen.
Musste man damals schon so viel Papierkram erledigen?
Die erste Zeit nicht, da hat man einfach Bio gemacht. Das hat sich rumgesprochen und die Leute sind hergekommen und haben Getreide gekauft. Wir haben damals Milch und Gemüse und Kräuter direkt verkauft, das hat dann auch noch ein paar Erlöse ergeben. In Kassel entstanden Milchringe: Da haben sich die Nachbarn zusammen getan und abgewechselt mit dem Milchholen. Eine Mark hat der Liter gekostet.
Frau Appel: Das war sehr arbeitsintensiv! Allein die Milchkammer sauber zu machen hat eine Stunde gedauert.
Herr Appel: Und dann kommt noch dazu, dass die Leute, wie man im Hessischen sagt, schnuddeln wollten. Das war schon nett, aber wenn man jetzt gerade was vorhatte, dann störte es doch ein bisschen.
Frau Appel, haben Sie noch nebenbei gearbeitet?
Frau Appel: Nein, das konnte ich nicht! Ich hatte einen 16-Stundentag. Wir hatten ja noch Gemüse und Kartoffeln und Heilkräuter. Die mussten auch noch bewirtschaftet und Unkräuter gejätet werden. Da war kein Urlaub drin. Ich hab mir mal einen halben Tag frei genommen. Aber drei bis vier Wochen Urlaub im Jahr, wie die meisten haben, da bin ich im Leben nicht draufgekommen. Samstags und sonntags haben wir auch noch gearbeitet.
Empfanden Sie ihr Leben entbehrungsreich?
Frau Appel: Nein, entbehrungsreich war unser Leben nicht. Wir haben ja dahinter gestanden. Ich meine, den Verdienst darf man nicht sehen, die Substanz wurde immer weniger. Die Schulden, die sind schon eine Belastung. Das Körperliche merkt man auch. Vor allem bei mir, da ist alles verbraucht, die Wirbelsäule, die Knie. Durch das viele Heben, das war viel zu viel für eine Frau. Ich habe die Bio-Läden in Kassel beliefert, ein bis zwei Mal wöchentlich fünfzehn Kisten, manchmal musste ich sie weit schleppen, weil ich keinen Parkplatz gefunden habe.